Essen soll nicht Strafe sein

Über die Essenqualität in Deutschlands Gefängnissen wird wenig geschrieben, ist wenig bekannt. Auffallend: Kaum jemand nimmt Notiz. Wettbewerb ist kein Thema, die Überbelegung von Haftanstalten verbietet offensichtlich neue Denkansätze. Der Einsatz von Caterer, konkret Aramark in Cottbus, ist hierzulande ein Einzelfall. Trotz Bedenken gegen private Dienstleister könnte schon bald eine neue Ära der Privatisierung eingeleitet werden.



"Der Christstollen (500 Gramm) ist zum Weihnachtsfest zusätzlich und frühestens am vierten Adventssonntag auszugeben." "Für die Zubereitung von Bratfisch darf Fett bis zu 10 Gramm zusätzlich angesetzt werden." "Die Versorgung mit Brot ist durch Ausgabe der von den Anstaltsbäckereien hergestellten Brotsorten möglichst abwechslungsreich zu gestalten." Des weiteren seien die "Grundsätze der Ernährungslehre", die "einschlägigen lebensmittelrechtlichen Vorschriften" und die "Gebote der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit" einzuhalten. Das sind Auszüge aus der Geschäftsanweisung für die Wirtschaftsverwaltung der Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen vom März 1993. Verändert hat sich seitdem nicht viel. Jürgen Burckhardt, ehemaliger Fachberater für Gefängnisverpflegung bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE): "Die Höchstmengen und die Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr sind bis heute gleichgeblieben." Geblieben ist vor allem auch eines: Der sogenannte "Gummiparagraf", der besagt, dass "die Gebote der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten" seien. Burckhardt: "In den 30 Jahren meiner Beratertätigkeit konnte mir kein Mensch erklären, was das genau zu bedeuten hat. Der Landesrechnungshof stellte aber meist im Nachhinein fest, dass zuviel Geld ausgegeben wurde." Demnach gibt es also keinen festgelegten Tagessatz oder ein Jahresbudget, welches den JVAs für die Verpflegung zur Verfügung steht.



Dietmar Hagen, Koch und verantwortlich für die Bahlsen-Betriebsgastronomie, hat sich als freier Ernährungsberater ebenfalls bereits mit der JVA-Verpflegung beschäftigt und sieht das ähnlich: "Es gibt keine klare Regelung und kein festgelegtes Budget." Gefängnisse sind Ländersache, jedes Land hat seine eigene Kostverordnung. Nach Ansicht von Hagen, sei aber die Verpflegung selbst von JVA zu JVA innerhalb eines Landes sehr unterschiedlich. Zwar unterscheiden sich die Verordnungen bezüglich Höchstmengen und Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr innerhalb Deutschlands kaum, aber die Zusammenstellung der Mahlzeiten erfolgt "nach eigenem Ermessen". Anders formuliert heißt das: Wer Glück hat, landet in einem Knast mit gutem Essen, per Pech hat, hat eben Pech. Hagen: "Es gibt viele Missstände, gerade was das Essen angeht." Nach Hagens Ansicht gibt es vor allem drei Hauptursachen für die mangelnde Qualität. Die Vorgaben ist den Kostverordnungen beziehen sich ausschließlich auf Mengen und Nährwerte, nicht jedoch auf die Qualität, Frische, Zubereitungsart oder Geschmack der Produkte. Hagen: "Das ist total veraltet, schließlich kann man die Qualität von Lebensmitteln nicht in Kalorien ausdrücken. Wichtig wäre beispielsweise der Anteil hochwertiger Fette, komplexer Kohlenhydrate und den Frischegrad zu definieren."



Betriebsleiter in Gefängnissen sind oftmals keine gelernten Köche. Das angestellte Küchenpersonal ist immer verbeamtet. Zudem verfügten Anstaltsleiter häufig über kein Wissen und Interesse am Thema Verpflegung. Auch der ehemalige DGE-Ernährungsberater Burckhardt stimmt zu: "Die Ausbildung des Küchenpersonals ist auf der ganzen Linie verbesserungsfähig."

Es gibt keine Lobby für die Gefangenenverpflegung. Logisch: Welcher Politiker will sich schon öffentlich für eine Verbesserung der Gefängnisverpflegung einsetzen? Dies wäre eine Steilvorlage für "Wasser und Brot" -Stammtisch-Diskussionen nach dem Motto "Denen soll es ja im Gefängnis nicht gut gehen". Hagen: "Schlechtes Essen ist aber nicht Teil der Strafe. Die besteht ausschließlich im Freiheitsentzug." Dieses Bewusstsein fehle aber in der Öffentlichkeit. Zudem wird gerne vergessen, dass ein Häftling keine Chance hat, auf Alternativen auszuweichen, also nicht wie andere Kunden bei schlechtem Essen einfach wegbleiben kann.



Kurzfristig bekommen die Justizvollzugsanstalten sehr wohl mit, wie die Qualität des Essens bei den Häftlingen ankommt. Andreas Grühn, stellvertretender Geschäftsführer der Arbeitsbetriebe bei der JVA Tegel: "Essen spielt bei uns eine enorm große Rolle. Wenn das Essen gut ist, sind die Insassen zufrieden. Ist es schlecht, dann gibt’s sofort Ärger." Niels Törkel, JVA-Experte bei der Unternehmensberatung SMR in Königswinter, sieht das ähnlich: "Wenn ein Gefangener 24 Monate einsitzt und sich der Speiseplan gerade zum dritten. Mal wiederholt, reagiert der schon mal empfindlich." Die langfristigen Folgen schlechter Ernährung werden jedoch Hagen zu Folge unterschätzt. Zu wenig frische Zutaten und zu wenig Abwechslung sind seiner Ansicht nach Mit-Ursachen für physische und psychische Krankheiten, zum Beispiel gerade auch in Kombination mit Bewegungsmangel auch für Übergewicht verantwortlich. Abgesehen von den Krankheitskosten, die entstehen, fehle auch das Bewusstsein, dass die Häftlinge irgendwann auch wieder freigelassen werden. So gesehen, ist gute Ernährung auch ein Faktor für die Resozialisierbarkeit der Häftlinge und damit durchaus im Interesse der Allgemeinheit.



Angesichts knapper Kassen gehe es immer mehr um "die Motivation, Geld beim Wareneinkauf zu sparen als auf die Qualität zu achten". Hagen entwickelte zusammen mit dem Ökologischen Großküchen-Service (ÖGS) in Frankfurt am Main im Auftrag der früheren SPD-Landesregierung Niedersachsen Leitlinien für ein neues Verpflegungskonzept, welche allerdings nie zum Einsatz kamen. Seit dem Regierungswechsel im März 2003, bei der die CDU an die Macht kam, liege das Konzept auf Eis. Wenig erstaunlich: Bisher spielen Bioprodukte keine Rolle bei der JVA-Verpflegung. Hagen: "Eigentlich seltsam. Das Verbraucherministerium fördert mit Millionenbeträgen den ökologischen Landbau. Da läge es doch nahe, diese bei den landeseigenen Anstalten mit regionalen und ökologischen Produkten einzusetzen.". Törkel sieht das realistisch: "Wenn Sie das dem Budget gegenüberstellen, bleibt das Wunschdenken. Der Staat ist klamm."



Offizielle Vorschriften oder Angaben zum Thema Kostensatz gibt es bislang in keinem Bundesland, doch Branchenexperten nennen als Orientierungsgröße immer wieder übereinstimmend die Zahl von drei Euro je Tag und Häftling. Da wird es mit der Biokost schwierig. Können Caterer damit überhaupt Geld verdienen? Weltweit ist Aramark im Bereich Gefängnis-Verpflegung (150 US-Gefängnisse als Kunden) mit 200 Mio. Euro Marktführer, in Deutschland betreut Aramark allerdings erst eine JVA als Modellprojekt: Die JVA Cottbus. Sodexho erzielt weltweit ein Prozent seines Umsatz mit dem Segment, in Deutschland beliefert das französische Unternehmen bislang keine einzige JVA. Der Markt sei "interessant" heißt es von deutscher Seite, allerdings ist das Segment ähnlich schwierig wie beispielsweise die Schulverpflegung. Der Grund: Der Auftraggeber ist die öffentliche Hand und die schwimmt bekanntermaßen nicht im Geld.



Neues Modell. Aktuell macht gerade ein Modellprojekt in der Öffentlichkeit Furore. Bei der noch nicht fertig gestellten Justizvollzugsanstalt Hünfeld in Oberhessen sollen aus Kostengründen voraussichtlich 40 Prozent der Dienstleistungen an private Firmen vergeben werden, darunter auch die Verpflegung. Die SMR-Unternehmensberatung entwickelte zusammen mit der Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance die Ausschreibungskriterien für sämtliche extern zu vergebende Aufgaben. Von den ursprünglich zehn Cateringunternehmen, die sich um das Modellprojekt bewarben, wurden rund die Hälfte zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Törkel: "Sie können als Caterer nur dann wirtschaftlich arbeiten, wenn Sie nicht mehr angestelltes Personal einsetzen würden als die JVA es tun würde." Konkret heißt das: Die Lohnkosten für einen Angestellten zuzüglich Arbeiterbeiträge zur Sozialversicherung plus Umsatzsteuer müssen unter den JVA-Personalkosten liegen. Törkel: "Die Dienstleister müssen den Nachteil der Umsatzbesteuerung irgendwie kompensieren. Dann wird es wirklich interessant." Undenkbar ist das nicht, denn die Tarife der Gewerkschaften Nahrungsmittel, Genuss, Gaststätten (NGG) sind aus Arbeitgebersicht günstiger als die BAT bzw. Beamten-Tarife. Zudem gab es in Nordrhein-Westfalen Klagen über hohe Ausfallquoten der verbeamteten Mitarbeiter.



Die besonderen Umstände in Gefängnissen bieten Einsparpotentiale, die es sonst in der Gemeinschaftsverpflegung nicht gibt:

Es gehört zum Konzept, dass Gefangene als Hilfskräfte mit arbeiten. Da Gefangene einen Lohn von zehn Euro pro Tag haben, fallen personalintensive Tätigkeiten wie Kartoffelschälen kaum ins Gewicht. Es lässt sich damit nicht nur bei den Personalkosten sparen, sondern auch beim Wareneinsatz. So beträgt der Preis von ungeschälten Kartoffeln nur ein Drittel des Preises von geschälten. Hagen: "Es gibt preiswerte Arbeitskräfte, die machen den Einsatz von Convenience-Produkten überflüssig." Beispiel: Die JVA Tegel hat nach Angaben von Grühn einen Convenience-Grad von unter zehn Prozent, wobei aber tiefgefrorenes Gemüse nicht als Convenience zählt. Die Kartoffeln schälen die Häftlinge. Eine JVA kann also da sparen, wo Selbermachen günstiger als teure Convencience-Produkte sind. Zusätzlich erhöhe sich mit der Verarbeitung von frischen Zutaten nicht nur die Qualität der Verpflegung, sondern auch das Wissen und die Ausbildung der Küchenhelfer. Dies bietet für die Häftlinge gleichzeitig die Chance auf einen Job nach der Strafe.

In Ländern wie den USA und Großbritannien ist es üblich, dass neben der Verpflegung, auch Gebäudereinigung oder Verwaltungstätigkeiten an private Unternehmen vergeben werden. In Großbritannien werden unter dem Oberbegriff "correctional service" sogar die Sicherheitsdienste von privaten Unternehmen geleistet. Diese Vergabe hoheitlicher Tätigkeiten ist aber aus verfassungsrechtlichen Gründen in Deutschland nicht möglich. Dienstleister können aber sparen, in dem sie sinnvolle Dienstleistungen aus einer Hand bieten, z.B. Gebäudereinigung, -wartung und Verpflegung. Der Clou: Der Personalbedarf wird aus einem "Pool" gespeist. Sprich: Die Mitarbeiter aus Küche und Reinigung können gegenseitig bei Engpässen einspringen.



Hagen hält den Einsatz von Caterern durchaus für denkbar, zum Beispiel für Beratungs- und Managementaufgaben als Ernährungsberater oder für die Zusammenarbeit beim Einkauf, um gemeinsam Rabatte zu erzielen. Bezüglich eines kompletten Outsourcing gibt er zu Bedenken, dass die Küchencrew eines externen Caterers aus Personal bestehe, die keine Beamte sind und damit auch nicht die Sicherheit in Küche oder während des Essens verantworten können. Damit ergebe sich der Bedarf für zusätzliches Sicherheitspersonal. Hagen: "Das führt dazu, dass es praktisch kein Einspar-Potential bei den Personalkosten gibt. Damit wächst die Gefahr, dass bei den Zutaten gespart wird." Unternehmensberater Törkel sieht das anders: "Zusätzliches Wachpersonal ist immer notwendig, egal ob das Küchenpersonal angestellt ist oder extern gestellt wird. In beiden Fällen ist das Küchenpersonal nicht zugriffsberechtigt." Für den idealistisch eingestellten Hagen stellt sich angesichts zunehmender Privatisierungstrend die Frage: "Ist es wirklich der Gefangene, der profitiert oder geht es nur wieder darum neue kapitalistische Wege des Sparens zu finden."



JVA Tegel: Prinzip selber kochen

Die JVA Tegel bietet sieben verschiedene Kostformen an. In der JVA Tegel sitzen zwischen 1650 und 1700 Häftlingen ein, gekocht wird grundsätzlich selbst. Elf Köche managen als externe Mitarbeiter die Verpflegung, 40 Häftlinge arbeiten unter Anleitung der Fachkräfte. Das Angebot der sogenannte "Gesundenkost"
  • ein schweinefleischfreies Gericht für Moslems
  • leichte Schonkost
  • Gericht für Diabetiker
  • vegetarisches Gericht
  • flüssige Kost für Insassen, die keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen können
  • cholesterinarme Kost
Neue Ära: Outsourcing in JVA Hünfeld

Überbelegung machten den Neubau einer JVA notwendig, teilweise fehlten bis zu 1200 Haftplätze in Hessen. Mit der neuen JVA nordhessischen Hünfeld sollen bis 2005 500 neue Haftplätze der Sicherheitsstufe II entstehen (Sicherheitsstufe I = Untersuchungshaft, Sicherheitsstufe III = Schwerstkriminelle) Laut Koalitionsvereinbarung der CDU/FDP 1999 soll die neue JVA aus Kostengründen in Planung und Bau privatwirtschaftlich organisiert werden. Auch der Betrieb soll - bis auf zwingend hoheitliche Aufgaben - in privater Organisationsform erfolgen.

Ziel: 35 bis 40 Prozent der Dienstleistungen sollen privat erbracht werden. In Deutschland ist laut Verfassung nur die Privatisierung von "Dienstleistungen ohne Eingriffsbefugnisse gegenüber Gefangene" möglich. Also eine Auslagerung des kompletten Strafvollzugs wie beispielsweise in Großbritannien geht nicht. Zu den privatisierbaren Aufgaben gehören insbesondere Gebäudemanagement, Verpflegung, Betreuung und Teile des Bewachungsmanagement, zum Beispiel die Kontrolle von mechanischen oder technischen Sicherheitssystemen.



Aspekte der Personalkosten

JVA intern geregelt:
  • kostenerhöhende Faktoren aus Sicht der JVA/ öffentlichen Hand
  • verbeamtetes Küchenpersonal mit Beamten- bzw. BAT-Tarifen
  • keine flexible Personalstruktur, die für unterschiedliche Dienstleistungen eingesetzt werden kann
  • Einsparpotenzial aus Sicht der JVA/öffentlichen Hand (Gefangenenhilfskräfte müssen sowieso beschäftigt werden)
  • verbeamtetes Küchenpersonal kann eingeschränkt auch hoheitliche Aufgaben wahrnehmen
  • keine Umsatzsteuer, da die Mitarbeiter angestellt sind
  • JVA-Verpflegung extern geregelt
externe Regelung: Aus einer externen Vergabe resultieren folgende Vorteile für die öffentliche Hand:

Betriebsrisiken wie Personalausfälle werden ausgelagert Günstigere Tarifstrukturen, da Routinearbeiten nicht mehr von Beamten wahrgenommen werden JVA profitiert von Know-how und Innovationsfreudigkeit der Caterer, mehr Abwechslung im Speiseplan für die Gefangenen möglich Sicherheit & Verpflegung - drei kritische Punkte Abfallentsorgung: Zwar ist im Bereich Küche erfahrungsgemäß nicht mit einer Flucht zu rechnen, dennoch muss der Müll in einer JVA muss stets Sicherheitsschleusen passieren. Konkret wird dies durch die Öffnungsgröße der Schleuse geregelt, durch die ein Mensch nicht passt. Übernimmt ein externer Dienstleister die Entsorgung, muss er dafür Sorge tragen, dass er im Ernstfall schnell Alarm schlagen kann. Auch hier gilt, dass das externe Küchenpersonal geschult werden muss.



Personal: Zusätzlich zum Küchenfachpersonal muss immer ein "zugriffsberechtigter" Wachdienst in Bereitschaft stehen. Dies ist ein zusätzlicher Kostenfaktor, den andere Küchen nicht haben. Da Funktionstrakte wie die Küche immer getrennt von Station bzw. Bettentrakt sind, patrouilliert der Wachhabende in bestimmten Zeitabständen durch die Küche. Per Video oder per Rufdienst muss der Bereitschaftsdienst immer erreichbar sein.



Gefährliche Geräte: Nach jeder Schicht muss eine Sicherheitsüberprüfung der "gefährlichen Geräte" erfolgen. Dazu zählen beispielsweise jegliche Form von Messern und Beteck. Die traditionelle Variante erfolgt über sogenannte Schablonenwände, an denen jedes Messer nach der Schicht von dem Benutzer an seinen genau vorgesehenen Platz wieder zurück gehängt werden muss. Problem: Wenn etwas fehlt, lässt sich nicht nachvollziehen, wer das Gerät entnommen hat. In England beispielsweise hat jeder Häftling, der in der Küche arbeitet, mehrere Häkchen an der Wand zur Verfügung. Benutzt er ein Messer, muss er eine Art Anhänger, welches sich an dem Gerät befindet, an ein Häkchen neben seinem Namen aufhängen. Inzwischen gibt es moderne Chiplösungen, das heißt, in jedem Gerät sind Chips eingebaut.
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