Bertelsmann Studie | Qualifizierung

Deutlich mehr teilqualifizierte Arbeitskräfte

Immer mehr Mitarbeiter in der Gastronomie sind teilqualifiziert.
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Immer mehr Mitarbeiter in der Gastronomie sind teilqualifiziert.

Nur etwa jedes fünfte Unternehmen benötigt beim Berufsbild „Fachkraft im Gastgewerbe“ noch vollqualifizierte Arbeitskräfte - im Beruf Koch/Köchin sogar nur noch jedes zehnte, so das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Unternehmen auf der Suche nach qualifiziertem Personal sind zunehmend bereit, auch Menschen ohne Berufsabschluss einzustellen.

Für viele Tätigkeiten ist das volle Spektrum berufsfachlicher Kompetenzen nicht mehr erforderlich. Spezialisierung und arbeitsteilige Prozesse ermöglichen es, immer mehr Stellen mit teilqualifizierten Arbeitskräften zu besetzen. Bestimmte Teilqualifikationen reichen schon aus, um beschäftigt werden zu können. Das gilt für die meisten Berufe, wie eine repräsentative Unternehmensbefragung der Bertelsmann Stiftung zeigt.

Demnach sind vier von fünf deutschen Unternehmen (81,2 Prozent) bereit, bei Bedarf Arbeitskräfte ohne Berufsabschluss einzustellen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Bewerber*innen über Kompetenzen in mindestens einem beruflichen Einsatzbereich verfügen. Im Schnitt äußerten die befragten Unternehmen einen gleich großen Bedarf an teil- und vollqualifizierten Arbeitskräften. In über zwei Drittel der Berufe waren Teilqualifizierte sogar gefragter als Arbeitskräfte mit Berufsabschluss.

Teilqualifizierte Fachkräfte mehr gesucht als vollqualifizierte

Auch für die Berufe Restaurantfachfrau/-mann, Hotelfachfrau/-mann erwarten die meisten Unternehmen nicht mehr die volle Bandbreite an berufsfachlichen Kompetenzen. Entscheidend ist, ob die vorhandenen Qualifikationen dem gewünschten Stellenprofil entsprechen. Mittlerweile werden im Gastgewerbe viel häufiger teilqualifizierte Fachkräfte als vollqualifizierte gesucht. Fast 80 Prozent benötigen sogar ausschließlich Teilqualifizierte. Diese arbeiten – entsprechend ihrer Qualifikation – nur in bestimmten betrieblichen Einsatzbereichen. Dazu gehören bei Teilqualifizierten  im Gastrogewerbe die Bereiche „Reinigungsarbeiten durchführen (Housekeeping)“, „Veranstaltungen vorbereiten und im Warenlager arbeiten“, „In der Küche helfen“, „Im Service arbeiten“, „an der Rezeption arbeiten“ und „Service leiten“. Schon mit einer Teilqualifikation ist eine Beschäftigung möglich (s. Abb. 1). Die Einstellungschancen sind also gut, zumal die Gastronomie in 65 Prozent seiner betrieblichen Einsatzbereiche für Fachkräfte im Gastgewerbe bereit ist, Personal auch ohne Abschluss einzustellen.

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Rückgang an Ausbildungsverträgen im Gastgewerbe

 Im Vergleich zu aktuellen Engpassberufen ist die Arbeitsmarktsituation in der Beherbergung und Gastronomie zwar weniger stark angespannt. Die Branche verzeichnet jedoch seit 2009 einen kontinuierlichen Rückgang an abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Das bedeutet, dass Engpässe bei Fachkräften mit Berufsabschluss voraussichtlich weiter zunehmen werden. Unternehmen wollen wissen, welche Kompetenzen Arbeitssuchende ohne Berufsabschluss mitbringen. Ohne einen Nachweis ist das schwierig. Entsprechend beklagen mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen eine oft unklare Qualifikationslage aufseiten der Bewerber*innen.
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Gleiches gilt für Menschen, die vorhandene Abschlüsse oder berufliche Kompetenzen nicht belegen können. Dazu zählen vor allem Geringqualifizierte, Geflüchtete und Migrant*innen. Ohne Zeugnis oder Zertifikat fehlt Unternehmen die wichtigste Einstellungsgrundlage. Auch hier müssen für ein gutes Matching und eine mögliche Beschäftigung vorhandene Kompetenzen erst sichtbar gemacht werden. Dafür braucht es jedoch standardisierte Verfahren, um berufliche Qualifikationen feststellen und zertifizieren zu können. Die Unternehmen hätten dann mehr Sicherheit und Transparenz bei ihrer Personalauswahl. Beratungsstellen und Jobsuchenden würde die Auswahl passender Teilqualifizierungen erleichtert.

Bereits heute gibt es Instrumente, die genau das leisten. Eines davon ist das computerbasierte und mehrsprachige Testverfahren „MYSKILLS – Berufliche Kompetenzen erkennen“ der Bundesagentur für Arbeit. In Verbindung mit beruflichen Teilqualifizierungen ermöglicht es den Unternehmen, genau die Arbeitskräfte zu finden, die passend qualifiziert sind.

Noch fehlt es aber an einem strukturierten System an berufsbezogenen und abschlussorientierten Teilqualifizierungen. Bestehende Qualifizierungsangebote sind weder aufeinander abgestimmt, noch führen sie gezielt zum Berufsabschluss. Zudem sind sie nicht mit der klassischen Berufsausbildung verknüpft. Das heißt, Änderungen in den Ausbildungsordnungen fließen nicht automatisch in die Teilqualifizierungen ein.

Die Studie der Bertelsmann Stiftung belegt, dass betriebliche Einsatzbereiche – bzw. die darin geforderten Kompetenzprofile – eine zentrale Währung für Beschäftigungsfähigkeit sind. Schon das Kompetenzprofil eines betrieblichen Einsatzbereiches kann ausreichen, um eingestellt zu werden. Da überrascht es, dass die Arbeitsvermittlung sich nicht stärker auf Kompetenzen in betrieblichen Einsatzbereiche ausrichtet. Sie zielt damit in ihren Bemühungen am aktuellen Bedarf der Unternehmen vorbei. Folge: Stellen bleiben unbesetzt und den Menschen vielfältige Chancen auf Integration verwehrt.





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