Ehemalige Mitarbeiter des am 11. September zerstörten Restaurants ’Windows on the World’ im obersten Stockwerk des New Yorker World Trade Centers haben in Greenwich Village ein neues Restaurant eröffnet: Das ’Colors’ will ein ambitioniertes Sozialprojekt und Top-Dining-Location zugleich sein – und an die 73 Kollegen (die gesamte Frühschicht) erinnern, die beim Einsturz der Twin Towers vor fünf Jahren ums Leben kamen. Das Besondere: Von der Putzfrau über den Kellner bis hin zum Chefkoch und Manager sind alle Mitarbeiter zu insgesamt 20 % am Unternehmen beteiligt.
Besser lässt sich die neue, optimistische Vision New Yorks kaum realisieren: 60 Einwanderer aus 22 Ländern haben das Grauen des 11. September 2001 in neue Hoffnung verwandelt. Sie gehörten zur 423 Köpfe zählenden Belegschaft des höchstgelegenen und profitabelsten Restaurants der USA und verloren durch die Terroranschläge nicht nur viele ihrer Kollegen, sondern alle auch ihre Jobs.
Die meisten von ihnen - Emigranten, die kaum englisch sprachen - fanden in der getroffenen Stadt keine neue Arbeit und griffen zur Selbsthilfe: Sie gründeten die Initiative ’Restaurant Opportunities Cooperative’ (ROC), um für bessere Arbeitsbedingungen in New Yorks Gastro-Branche zu kämpfen. Doch ihr größter Traum blieb, eines Tages ein eigenes Restaurant aufzumachen.
Dieser Traum ist nun wahr geworden: Im Januar 2005 unterschrieben sie einen 15-jährigen Pachtvertrag für einen charaktervollen Industriebau aus dem 19. Jahrhundert. Das Startkapital von 2,2 Mio. Dollar brachten sie mit Hilfe einer italienischen Lebensmittel-Kooperative und einer Reihe kleinerer Geldgeber zusammen. Als Gegenleistung für die Beteiligung am Projekt leisteten alle Mitarbeiter 100 ’Schweißstunden’ beim Aufbau des Restaurants. Außerdem wurde ein Mindestlohn vereinbart: 13,50 Doller – doppelt so hoch wie der Branchendurchschnitt.
Auch die Namenswahl verlief demokratisch. Aus allen Vorschlägen setzte sich schließlich ’Colors’ durch als Sinnbild für die kunterbunten Hautfarben der Belegschaft. Jeder Mitarbeiter durfte außerdem ein Rezept aus seiner Familie oder seines Heimatlandes beisteuern – global cuisine im wahrsten Sinne des Wortes. Auf der Speisekarte stehen u.a. ’langsam geröstetes Schwein mit Reis, Bohnen und Kochbananen’ (Kolumbien), ein Salat mit Rettich, Limettenblättern und Muschelstreifen (Haiti) und philippinische Hummerröllchen.
’Colors’ bietet 120 Gästen Platz. Der Hauptraum ist im Art-Déco-Stil gehalten: Wände aus dunklem Holz und Marmor, Bänke mit Mohair-Polstern, Original-Lampen von der New Yorker Weltausstellung von 1939. Die gesamte rechte Wand wird von einer Weltkarte nach der Peters-Projektion dominiert, die jeden Erdteil nach seiner tatsächlichen Größe, nicht nach dem westlichen Zerrbild, abbildet.
Ob das ’Colors’ sich in New Yorks erbarmungsloser Gastronomiebranche halten kann – rund die Hälfte der rund 18.000 Restaurants macht innerhalb der ersten drei Jahre wieder zu – wird sich zeigen. In jedem Fall ist seine Eröffnung ein hochemotionaler Moment: Neubeginn ebenso wie Schlusspunkt eines Traumas.
www.rocny.org Quelle (gekürzt): Marc Pitzke, Fünf nach Zero – Der 11. September und die Wiedergeburt New Yorks, Herder Verlag, 224 S., 8 €)